15
Jahre Intro-Graz-Spection
max
gad
ORTE zur KUNST
eine verneigung
Die
Intro-Graz-Spection, vor 15 Jahren auf die Welt gekommen, erwies sich,
wie Sie - sehr geehrte Damen
und Herren - gut wissen, als ein lebendiges Wesen, das ernsthaft mit
allen und allem und überall spielen will und dies auch tut. Das sich
außerdem vor nichts und niemand fürchtet - als vor sich selbst - und
den Menschen, Dingen, Phänomenen öffnet. Seine Gründerväter haben es
mit schrankenlosem Urvertrauen ausgestattet. Nun, in der Pubertät, gilt
es noch immer als Idee hinter der Idee und Frage, was sich im Prozess
zwischen Beharrlichkeit und Verwandlung alles sein lässt: Kunstverein
und selber Kunstwerk, Brutstätte und Labor und Festival. Nomadisches
Atelier, Provokation und Intervention, Finder und Erfinder, Macher und
Eingemachtes. Erst risikobereiter Auftraggeber für Kunst, dann deren
Hebamme, gute Mutter und jener verlässliche Vater, vom dem Qualtinger
einst sang, dass er "zu sein Buam steht, wann der wo a Feuerl
legt" Intro-Graz-Spection ist unbehaust und unentwegt unterwegs.
Macht Ausstellungen und ist keine Galerie, macht Konzerte und hat kein
Konzerthaus, Theater ohne Schauspielhaus, Literatur ohne Literaturhaus,
Filme ohne Lichtspielhaus, macht Oper und hat kein Dach von Helmer &
Fellner und Semper, macht Medienkunst und hat weit und breit nicht
Karlsruhe. Ihr Ort ist, wo sie sich ereignet. Heute hier. Zugleicht
erforscht sie den Ort, wo sie sich niederlässt, setzt sich damit
zusammen wie auseinander, macht ihn selbst zum Thema des Begreifens, zum
Material der Verwandlung und besorgt ihm bei Bedarf Apotheosen.
Nobelhotel, vergammelte Vorstadt-Fabrik, Fußballplatz, Galerie in Los
Angeles, Dorotheum oder eine Straßenbahn in Graz. Ein Ort mit Namen
Niemandsland und Überall. Heimat. Wanderschaft in Permanenz hält fix
und fit, doch hat sie Nachteile. Das öffentliche Geld geht zu
Nomadenstämmen seltener als in die fest gebauten Häuser. Dort dient es
der Kunst zwar nur am Rande, primär verschlingen es Personalkosten,
Betriebskosten, Ausstattungskosten; es geht in Laptop, Espressomaschine
und den Ficus Benjamin. Wie macht man so etwas gewöhnlich? Man macht,
was alle machen, nur macht man mehr Wind und Druck und macht, dass man
der Macht hineinkriecht, von hinten. Dann hockt man sich in das aus
Steuergeld gemachte Nest und macht sich und anderen vor, Kultur-träger
zu sein, unverzichtbar auf die nächsten 20 Jahre. Alle zwei Jahre macht
man eine Pressekonferenz, in der man die Kulturpolitik heruntermacht.
Der Kulturpolitiker macht sich so seine Gedanken in Richtung "Diese
verhätschelte Made mag mich am Arsch lecken." Doch so etwas
öffentlich zu sagen, machte sich, auch wenn es stimmt, in der
Öffentlichkeit nicht so gut; also macht er auf zerknirscht und sagt,
man werde schauen, was sich machen ließe. Und dann macht man halt was
Nettes... So etwas macht man nicht, sagt die Intro-Graz-Spection, in
Ehrensachen geradezu reaktionär. Sie hat sich nun einmal dem
Zigeunerleben abseits von
Funktionärspensionsanspruchsgeruhsamkeitsbetriebsmentalität
verschrieben. Dafür, dass es um nichts geht als um Kunst, bürgen Namen
wie Christian Marczik, Georg Altziebler, Hannes Tisch, Herbert Soltys
und Alfred Boric. Dieses Quintett selbst ist gleichsam zum Intro-Ort
mutiert. Die Parole für die Praxis: "Authentizität, Qualität,
Liebesbereitschaft." Klingt vorerst locker und sympathisch und ist
doch alles andere als lieblich. Die Begriffe haben zu tun mit Konsequenz
und Auseinandersetzung, mit der Fähigkeit zur Unterscheidung, der
Courage zur Entscheidung und zu einer deklarierten Haltung. Der gute
Torero ist stets ganz nah am Stier. Und zur postulierten
Liebesbereitschaft fällt unsereinem natürlich Teresa de Avila ein, die
als Mystikerin längst gewusst hat: "L'amor es severo y implacable
como l´infierno" - Die Liebe ist hart und unerbittlich wie die
Hölle. Die Hölle, auch so eine Gegend, wo jeder, der die eigene
Introspektion halbwegs gewissenhaft betreibt, hin und wieder
vorbeischaun wird müssen... Nach der maßlosen spanischen Heiligen
etwas pragmatische deutsche Philosophie: Für Karl Marx ist Kunst kein
Spiegel, den man der Wirklichkeit vorhält."... sondern ein Hammer,
mit dem man sie gestaltet." Die Intro-Graz-Spection zeigt, wo der
Hammer hängt. Und ist selbst Hammer. Wie jeder Handwerker weiß, ist
gutes Werkzeug unabdingbar. Es muss verlässlich sein. Die Intro ist es.
Für Künstler, für Partner, für die Verwaltung, für Sponsoren, die
ihr vertrauen und Geld schenken. Auf einen Handschlag kann man bei Intro
bauen. Wie widrig die Umstände sein mögen, und oft sind sie sehr
widrig - ein Künstler, der mit Christian Marczik eine Vereinbarung
getroffen hat, kann sich darauf verlassen. Der lässt dich nicht
hängen, schlimmstenfalls hängt er neben dir und wird dafür sorgen,
dass Gott an dich glaubt. Mit dieser Qualität des Handschlags hat er
sich jenen Ruf erworben, ohne den die Intro-Graz-Spection kaum
funktionieren könnte. Wer hier einsteigt, fühlt sich beim Arbeiten wie
ein Säugling aufgehoben; geliebt, geachtet, behütet. Man spürt das,
während alle Nerven blank liegen, und man fühlt sich wohl. Es sei mir,
der in der Intro als Künstler sich wichtig machen hat dürfen, eine
persönliche Anmerkung gestattet: An die Adresse von Christian, aber
auch an Herbert, an Fedo und an Gabi. Nach allem, was ich in der
Zusammenarbeit mit euch erfahren habe, hat die Intro ihren Ort auch in
mir. In jenem weiten Siedlungsareal, das die Ortskundigen Dankbarkeit
nennen. Dort habt ihr vier die schönsten Zimmer - mit Meerblick. Das
Epizentrum der Intro-Graz-Spection ist natürlich Christian Marczik.
Wolfgang Bauer hat ihm völlig zurecht eine abenteuerliche Gesinnung
attestiert. So eine Anamnese ist ein feines Kompliment aus dem Mund
eines Haudegens und unbeirrbaren Kritikers. Sie nährt auch die ebenso
richtige wie romantische Vorstellung, Kunst sei gefälligst verknüpft
mit Gefahr und Mut, mit Entsagung und Verzweiflung und sporadischem
Exzess. Ein Gedan-ke, der bei Guido Ceronetti in der lakonischen
Feststellung landet: Seit die Syphilis keine Todesopfer fordert, ist die
Kunst auch nichts mehr wert. Ceronetti übrigens schreibt Ge-dichte und
hat, soviel ich weiß, keine Syphilis - doch was wäre schon ein Leben
ohne Hoffnung? Abenteuerliche Gesinnung nährt auch die Verachtung für
alles, das sich selbst ohne Not verkauft, Kunst zum beliebigen Artikel
von Dienstleistern macht, zum Beiwerk, sie zu-recht- und krumm biegt
nach den Wünschen von Touristikern, von Hotelbettverkäufern, von wem
auch immer. Ein behaupteter Erfolg von 2003 wird heute in der
öffentlichen Debatte gemessen ausschließlich an der Anzahl vermieteter
Betten. Nach diesem Kriterium wären Syphilitiker wie ein Baudelaire
nichts als Versager - weg damit. Dagegen denkt Nicolas Gomez Davila an,
wenn er sagt: "Es ist an der Zeit, die Kultur in Verruf zu bringen,
damit es sich nicht lohnt, sie im Dienste der Politik oder der Industrie
zu erniedrigen." Kein Zufall, dass ich dies heute zitiere, da man
alles Geistige denunziert, heute, da man, was sich nicht sofort in Geld
verwandelt, verwirft und verhindert, heute, da es epidemisch an
Liebesbereitschaft mangelt, heute, im März 2004 nach Christi Geburt.
2004 ist jenes Jahr, von dem unsere kleine Stadt nach dem Jahre 2003
regelrecht überrumpelt worden ist. Damit hat sie nicht gerechnet,
darauf war sie nicht gefasst. Der gregorianisch-kalendarische
Schulterwurf der Zeitläufe kam dermaßen "mir nix - dir nix"
daher, dass man seine Phänomenologie gleich als Maxime der
Kulturpolitik für die härteren Tage, die noch kommen sollen, fixiert
hat: Mir nix, dir nix, der nix, dem nix. In diesem Widerspruch - dem
Widerstand gegen neokapitalistische Begierden und schäbige Verwertungen
einerseits und andererseits der Legitimation, sauer verdientes und vor
allem den armen Leuten abgeknöpftes Steuergeld für sein
erklärtermaßen nutzloses Tun einzufordern und wiederum mit anderen
Kunst-Satelliten in erbarmungslose Konkurrenz zu treten - in diesem
Komplex wird sich die Intro härter noch schlagen und durch-schlagen
müssen. Entweder wird man depressiv und resigniert - oder man sieht es
mit Hölderlin: Soviel Zukunft war nie. Intro nun als Ort des Erinnerns
und Vergessens und Wiedererinnerns. Sein Gedächtnis materialisiert sich
nun in einem Buch, das den Geist von Intro atmet. "Orte zur
Kunst" Es hat Gewicht und raffinierte Eleganz, strenge Linie und
Freude an Verblüffung. Wer es kauft, wird staunen über seine
inhaltliche Breite. Auch wenn man ohnehin dabei war: Was es da alles
schon gegeben hat! Performance und Gala und Film und Musik und Fest und
Malerei und Theater und Reise und Konzert und Fotografie und Landeskunde
und Installation und Intervention und Begegnung und Kitsch und Fußball
und Lesung und Essen und Architektur und immer wieder die Verknüpfungen
von allem mit allem. "Orte zur Kunst" ist kolossal schön.
Gemacht von Christian Marczik, von Fedo Ertl, Joe Vötter und Gabi
Gmeiner. Auch um euch für dieses Opus zu bejubeln und uns vor euch zu
verneigen, sind wir hier. Ihr habt es gut gemacht, das Werk lobt seine
Meister. Und es zeigt Euch wohl: Die Plackerei hat sich gelohnt. Und
jetzt? Jetzt weiter, was denn sonst? In den nächsten Gedanken, in das
nächste Verlangen, in die nächste Lust und Qual, Pflicht und
Notwendigkeit. In die unendlich weißen Seiten eines nächsten
Buchs.
24.
März 2004 / Kunsthaus Graz
zurück
zum Kunstfest |